Ausführliche Biografie 1945–1949

»Was will diese neue Kunst? Sie wendet sich weitgehend vom Gegenständlichen ab und erreicht dies durch neue Farb- und Formgebung … Es ist ein aufregendes Abenteuer, von der Realität Abstand zu nehmen und die Dinge zu verzaubern … Hier sind die Möglichkeiten unbegrenzt ... Da ist vor allem die Farbe. Gewichtig steht sie an erster Stelle.«
(Ausst.Kat. Extreme Malerei, Augsburg 1947, o. S.)

Nach Kriegsende fließen die wenigen vorhandenen finanziellen Mittel zunächst in die Trümmerbeseitigung, in die Reparatur zerbombter Häuser und in den Bau provisorischer Unterkünfte. Ein Boom im Wohnungsbau entsteht schließlich mit der Währungsreform. Erst 1949 erhält Rupprecht Geiger wieder Aufträge als Architekt und arbeitet bis 1962 zusammen mit seiner Frau an verschiedenen Privathäusern und Siedlungen in und um München.

Rupprecht Geiger, München 1949
Rupprecht Geiger, München 1949; Foto: Helga Fietz, München

Da Rupprecht Geiger in den ersten Nachkriegsjahren in seinem erlernten Beruf nicht tätig werden kann, konzentriert er sich auf die Malerei. Dank einer Professur an der Münchner Akademie ab 1946 wird Willi Geiger ein Atelier in der Heßstraße 27 zur Verfügung gestellt. Seinem Sohn ermöglicht er nicht nur, einmal in der Woche dort in vollkommener Abgeschiedenheit zu malen, sondern stellt ihm auch Malutensilien und Farben bereit. Ab dem Sommer 1948 bedient sich Rupprecht Geiger zusätzlich der kostbaren Ingredienzen aus den von Hilla von Rebay geschickten Care-Paketen. Viele der in der Zeit entstandenen Werke sind aufgrund der Materialknappheit beidseitig bemalt und in Mischtechnik gefertigt; Rupprecht Geiger arbeitet aber bald vorwiegend in Eitempera, einer Technik, die er bis Mitte der fünfziger Jahre verwenden wird.

In diesen Jahren übt er sich im Schnelldurchlauf in verschiedenen Stilen. Er reflektiert verschiedene Stilmöglichkeiten, die damals als zeitgemäßer Ausdruck in Erwägung gezogen werden: »Ich habe verschiedene Stilrichtungen – Expressionismus, Surrealismus, Naturalismus – in Phasen von einigen Wochen an mir selber abreagiert, mich systematisch auseinandergesetzt.« (Ausst.Kat. St. Petersburg 1994, S. 154).

In wenigen entstandenen Landschaften oder Stillleben beschäftigt er sich mit Reminiszenzen an Griechenland oder verarbeitet Eindrücke aus der Nachkriegszeit. Er konzentriert sich auf eine starke, expressive Farbigkeit und entfernt sich schrittweise von einer gegenständlichen Formgebung.

Auf dieser künstlerischen Orientierungssuche experimentiert er auch mit dem Bildformat: im Winter 1948–49 entsteht eine kleine Werkgruppe der irregulären Formate, die erst durch ihre Wiederentdeckung Ende der siebziger Jahre Rupprecht Geiger als Pionier auf diesem Gebiet, lange vor den ›shaped canvases‹ der Amerikaner, gelten lassen wird. Die Formenvielfalt wird zugunsten einer klaren Farbgebung zurückgedrängt.

Durch das irreguläre Format sollte die Assoziation eines Landschaftsausblickes umgangen werden und die Abstraktion steigen. Die Abkehr vom traditionellen Rechteck ist ihm zu gewagt, um seine neueste Errungenschaft damals publik zu machen. Mit dieser Werkgruppe lässt Rupprecht Geiger die Tradition der ihm allzu assoziativ erscheinenden Bildtitel hinter sich und beginnt seine Gemälde fortlaufend zu nummerieren. Außerdem signiert er diese nur auf der Rückseite, da er die Signatur als störendes Element auf der Malfläche empfindet.

Bereits 1945 nimmt Rupprecht Geiger an einer der ersten Ausstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt, im Rathaus von Prien am Chiemsee, teil. Ab 1946 folgen Beteiligungen an Gruppenausstellungen, u. a. im Februar 1947 an der dritten Schau moderner Kunst mit dem provokativen Titel Extreme Malerei im Augsburger Schaezlerpalais. Es ist seit Kriegsende der erste Versuch, die wichtigsten Stilrichtungen der Nachkriegszeit anhand markanter Vertreter darzustellen. Dort wird Rupprecht Geiger nicht nur neben bekannten Malern wie Willi Baumeister oder Fritz Winter ausgestellt, sondern lernt einige ausstellende Künstlerkollegen sowie John Anthony Thwaites, den damaligen britischen Konsul in München, kennen. Aus den darauffolgenden Diskussionsrunden in der Avantgarde-Galerie Otto Stangl entspringt die Idee zur Gründung einer Gruppe moderner Maler, der späteren Gruppe ZEN 49. Gemeinsames Ziel ist es, der abstrakten Kunst im Nachkriegsdeutschland wieder den Weg zu ebnen.

Auch ins Ausland wird Rupprecht Geiger eingeladen auszustellen. Im Sommer 1948 werden drei surreale Landschaften im Pariser IIIème Salon des Réalités Nouvelles gezeigt. Zu diesem Anlass reist er in die französische Hauptstadt, ist zwei Wochen lang Gast bei Jean Dubuffet und lernt die Welt der ›art brut‹ kennen. In einer Ausstellungskritik zur ersten internationalen Ausstellung zeitgenössischer Kunst Kunstschaffen in Deutschland – ein Versuch, die gegenwärtige gesamtdeutsche geistige Situation zu dokumentieren – werden die Werke Rupprecht Geigers von Wolfgang Petzet zu den repräsentativen Beispielen der gegenstandslosen Malerei gezählt.

Autorin: Julia Geiger