Ausführliche Biografie 1940–1945

Bereits 1940 wird Rupprecht Geiger zum Kriegsdienst einberufen. Geprägt durch die politische Einstellung seines Vaters, der 1933 aus seiner Leipziger Professur fristlos entlassen wurde, ist auch er ein entschiedener Gegner des Krieges und des Nationalsozialismus. Da er seine militärische Ausbildung in Landsberg am Lech sabotiert, wird er dem technischen Dienst zugeteilt. Zuständig für Telefon- und Zugverbindung wird er an die Ostfront nach Polen geschickt. An den verschiedenen Einsatzorten hält er die Landschaften in kleinen Aquarellen fest.

Den Vormarsch der deutschen Armee begleitend, wird er schließlich für die langen Wintermonate in Wjasma, unweit von Moskau, stationiert. Als Augenzeuge der Grausamkeiten des Krieges berichtet er in seinem Tagebuch über gegenseitige Angriffe der Deutschen und Russen, über brennende Städte, schreckliche Verwüstungen, Gefangene und Verwundete, über Erschießungen und Hinrichtungen, Leichenberge und über den bitterkalten, gnadenlosen russischen Winter. Trotz des Überlebenskampfs beschreibt er aber auch die ungewohnten, beeindruckenden Farbenspiele der weiten, fast menschenleeren russischen Landschaft:

»Der Himmel ist von beispielloser Farbenpracht und von unglaublicher Weite. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. (1) Ein Morgenhimmel ist am Horizont, blaugrau und geht nach oben in violett über, dann ganz schnell über gelb u. grün zu stahlblau. Oder (2) am Horizont weißgelb dann etwas zitronengelb und über den halben Himmel hoch lachsrot. (3) Oder violett am Horizont dann sehr schnell gelb grün und dann zu blau.«
(Kriegstagebuch 1941/42, 17.11.1941)

Seine Kriegstagebuch-Beschreibungen illustriert er mit Zeichnungen und Skizzen, oft mit Farbangaben versehen. In Wjasma aquarelliert er und malt seine ersten Gemälde. Hier setzt er den Beginn seines von ihm genannten ›autodidaktischen Studiums der Malerei‹ an. Er entzieht sich hiermit auch den entsetzlichen Gräuel des Krieges: »In den Stunden der Verzweiflung, wo alles Tod und Verderben war, Elend, war für mich die Malerei ich möchte fast sagen eine Art Therapie, aus dieser scheußlichen Kriegssituation wenigstens gedanklich herauszukommen.« (rückblickend Ausst.Kat. St. Petersburg 1994, S. 37f). Die Malerei rettet ihn auch vor dem Tod als Soldat an der Front.

Aufgrund der an der Ostfront entstandenen Landschaftsbilder gelingt es Willi Geiger durch Beziehungen zum Generalstab, seinen Sohn für die letzten beiden Kriegsjahre als Kriegsmaler unterzubringen. Zunächst in die Ukraine versetzt, hält er Eindrücke in Landschaften, Stillleben und Portraits fest.

Rupprecht Geiger in Rußland, Winter 1941/42
Rupprecht Geiger in Rußland, Winter 1941/42; Foto: Archiv Geiger, München

Ein einziges Mal muss er an die vorderste Front bei Rostow, um einen russischen Gegenangriff zu malen. Nach dem großen Rückzug der deutschen Armee aus der Region 1943 wird er an der ungefährlicheren Südfront in Griechenland stationiert. In Korinth, Argos, Nauplia und Athen arbeitet er an zahlreichen Aquarellen, Gouachen und Zeichnungen. Im Tagebuch beschreibt er ausführlich die in glühenden Farben und in intensives mediterranes Licht getauchten Stadtansichten und bezaubernden Landschaften:

»Der Süden ist ein einziger Rausch, eine Symphonie der Farben und man steht ihr ach! allzu oft fassungslos gegenüber. Oft gehe ich ratlos und fast verzweifelt durch die Glut der Häuser – Gassen und Licht u. Schatten erscheinen mit erdrückender Fülle, auch die Gefahr des allzu Bunten lauert. ›Die Straße vom Kastell‹ unter Mittags: grünes Meer, ultramarinblaues Haus, blassgrünes Haus und der Himmel preußischblau. Das ist zu viel.«
(Tagebuch 1939–49, S. 77f)

Nach der von Hitler Ende August 1944 angeordneten Räumung Griechenlands kommt Rupprecht Geiger mit einem der letzten Züge nach Deutschland zurück. Aufgrund einer Malariaerkrankung wird er bis zum Kriegsende dem Luftschutz in Übersee am Chiemsee zugeteilt. Dort haben sich seine Eltern, Frau und Kinder in einem alten Bauernhaus – die sogenannte ›Bax‹ – zurückgezogen, das seit Anfang der dreißiger Jahre im Besitz der Familie ist. Das Haus wird bis heute für die Sommerfrische von allen Generationen genutzt. Seit 2004 finden außerdem immer wieder Ausstellungen zum Werk von Willi Geiger in den stimmungsvollen Räumen statt.

Autorin: Julia Geiger